Sekundarschule Affeltrangen anno dazumal . . .

Pfarrer Eduard Schuster

Dass Pfarrer Eduard Schuster (1858 - 1935) eine eigene Seite erhält, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass ich auf sehr wertvolle Dokumente über ihn gestossen bin. Sie sind es wert, veröffentlicht zu werden. Von 1881 bis 1899 ist Schuster Pfarrer in den evangelischen Kirchgemeinden Affeltrangen und Märwil (seine erste Pfarrstelle nach dem Studium), von 1899 bis 1909 in Stettfurt. Von 1881 bis 1904 bekleidet er nebenamtlich das Amt eines kantonalen Schulinspektors. Als Krönung seiner Laufbahn wird er 1909 zum Direktor des Lehrerseminars Kreuzlingen (heute Pädagogische Maturitätsschule) gewählt. Erst mit 70 Jahren - im Jahr 1928 - übergibt er dieses angesehene Amt seinem Nachfolger Dr. Willi Schohaus. In der Chronik «150 Jahre Thurgauisches Lehrerseminar Kreuzlingen» würdigt deren Verfasser, Seminarlehrer Hermann Alfred Schmid - übrigens der Vater von Martin Schmid (hiesiger Sekundarlehrer von 1974 bis 1980) - den Seminardirektor Eduard Schuster. Zu einem späteren Zeitpunkt werde ich diese Würdigung hier noch anfügen.

Warum erscheint dieser Name auf der Plattform der «Sekundarschule Affeltrangen anno dazumal . . .»? Schuster wird im jugendlichen Alter von 23 Jahren, also im ersten Jahr seiner Pfarramtszeit in Affeltrangen, Präsident der Sekundarschulvorsteherschaft. Schon drei Jahre später kann die noch junge Sekundarschule ihr 25-jähriges Bestehen feiern. An der würdigen, aber einfachen Jubiläumsfeier in der Kirche Affeltrangen am Sonntag, 5. Mai 1884 hält er die viel beachtete Festrede, die im Wortlaut erhalten ist. Sekundarschulpräsident bleibt er bis zu seinem Wegzug nach Stettfurt im Jahr 1899.

Die Festrede Sonntag, 5. Mai 1884, 10.30 Uhr in der Kirche Affeltrangen

Begrüssungsrede an der Feier des 25-jährigen Bestandes der Sekundarschule Affeltrangen von Herrn Pfarrer Schuster, dem nachmaligen Seminardirektor von Kreuzlingen
(5.Mai 1884,vormittags 11 Uhr in der Kirche Affeltrangen).
Diese Rede ist uns 1935 zur Abschrift von Frau Direktor Schuster überlassen worden. 
(Sie wurde aber erst im Jahr 1938 abgeschrieben. Das Original in Pfarrer Schusters Handschrift ist nicht mehr vorhanden. Das Pathos der Rede ist für damalige Zeiten - 19. Jahrhundert! - normal. Anmerkung Ueli Mattenberger 2021)

Hochverehrte Versammlung!
Es gereicht mir zu hohem Vergnügen Sie (als eine so stattliche Versammlung) namens der Sekundarschulvorsteherschaft an unserer heutigen Feier begrüssen zu dürfen. Sie vor allem, verehrteste Schüler unserer Sekundarschule von der ersten bis zur heutigen Stunde ihres Bestandes, heisse ich herzlich unter uns willkommen. Ihnen zunächst gilt ja der heutige Tag, weil wir in Ihnen, in dem was Sie geworden sind, tatsächlich die Früchte vor uns schauen, welche die Arbeit unserer Schulanstalt gezeitigt hat. Doch ebenso herzlich bewillkommne ich Sie, hochgeschätzte Herren Lehrer unserer Schule, denn Ihnen zum grössten Teile verdanken diese Schüler von einst und jetzt die Förderung und Anregung ihres Wissens und Schaffens, die sie aus ihrer Sekundarschulzeit davongetragen haben. Freundlichst begrüsse ich auch diejenigen, welche beaufsichtigend und verwaltend als Vorsteher unserer Schule vorgestanden und dadurch nach Kräften zum Gedeihen derselben beigetragen haben. Sie alle, die Sie jeweilen ein Interesse für unsere Schule gezeigt und dasselbe nun auch durch Ihre heutige Anwesenheit aufs neue bekunden, seien Sie uns an unserer Sekundarschulfeier herzlich willkommen!

Nicht zu einem glänzenden Feste haben wir Sie eingeladen, sondern zu einer ganz bescheidenen Feier des 25jährigen Bestandes unserer Sekundarschule. Diese Tatsache selber schon ist ja wohl einer Feier wert, wenn wir die verschiedenen Schwierigkeiten bedenken, welche in einer fast ausschliesslich landwirtschaftlich treibenden Gegend der Existenz einer höheren Bildungsanstalt als der gewöhnlichen Primarschule entgegenstehen. Ist es darum auch nur eine ganz kurze und einfache, mit wenig Worten darzustellende Geschichte, welche unsere Schule mit diesen 25 Jahren nun hinter sich hat. Hat ihr Dasein und Wirken auch nie weit herum von sich reden gemacht, und wurde sie stets zu den kleinern und unbedeutenderen unter ihren Schwestern gezählt, so muss gerade dadurch der heutige Festtag umso mehr ein Ehrentag für sie werden, wenn er den Erfolg uns vor Augen führt, dessen dieses bescheidene Wirken sich erfreuen darf.

Ohne Ihnen, verehrteste Anwesende, ein geschichtliches Bild von der Entstehung und von der Entwicklung unserer Schule in den verflossenen 25 Jahren geben zu wollen und zu können, denn dazu wäre der Raum eines blossen Begrüssungswortes zu knapp, meine Kenntnisse und Erfahrung hiesiger Schulverhältnisse zu gering und der Stoff selbst in dieser engen Begrenzung zu unbedeutend, darf ich Sie doch mit kurzem Worte auf einige die Entwicklung unserer Schule nicht unwesentlich berührende Punkte wenigstens hinweisen.

a) Bevor am 9. Mai 1859 die Sekundarschule Affeltrangen eröffnet werden konnte, bedurfte es von Seite der leitenden Persönlichkeiten manchen Schrittes nach den verschiedensten Richtungen unseres Sekundarschulkreises mit seinen 9 Primarschulen, hinauf auf die Höhen von Strohwilen, Wolfikon, Wetzikon und von Braunau der Lauche nach aufwärts nach Märwil und abwärts nach Lommis, dem Thurtal zu nach Schmidshof-Buch und an die St.Gallische Grenze nach Bettwiesen, zu unseren Nachbarn nach Tobel und nach Zezikon und endlich in die Häuser des eigenen Sekundarschulortes selber hinein, bis endlich eine ehrenwerte Schar von 19 Wissensdurstigen im ersten Lokale im Bollsteg versammelt werden konnte. Den Bemühungen des damaligen hiesigen Geistlichen, Pfr. Gubler, war dieser erste Schritt, diese Gründung unserer Sekundarschule zu einem grossen Teile zu verdanken, gemeinsam mit dem ihm zur Seite stehenden HH. Pfr.Bommer von Bettwiesen, Moser von Lommis, Guhl u.Kantonsrat Albrecht von Braunau, Dr. Kaiser und Verwalter Hanselmann von Tobel, unter denen der Erstgenannte sein 25-jähriges Jubiläum als Mitglied der Sekundarschulvorsteherschaft feiern könnte, da er ihr ununterbrochen angehört hat. 

b) Diese ersten Vorsteher wie ihre späten Nachfolger im Amte, bekamen es von Zeit zu Zeit einmal zu erfahren, dass es nicht immer leicht hält, dem allerersten Erfordernis einer Schule, nämlich der hinreichenden Schülerzahl, genügend nachzukommen. Zumal vor einigen Jahren drohte dieselbe unter das gesetzliche Minimum von 10 Schülern herabzusinken, allerdings nicht bloss hier, und darum auch nicht bloss aus Gründen lokaler Natur. Allein, wenn wir nun bis heute dennoch eine Zahl von etwa 250 Schülern erreicht haben und gerade die paar letzten Jahre die Schülerzahl kaum unter 20 blieb, so ist das aller Ehren wert und ein Ziehen davon, dass denn doch trotz vielfachen ungünstigen Verhältnissen das Streben nach höherer Bildung und nach idealen Gütern noch immer unter Vielen im Volke lebt.

c) Ein ziemlich wechselvolles Schicksal ward der Schule zuteil, in Ansehung des Lehrpersonals, ist doch der seit Herbst 1880 provisorisch an unserer Schule Wirkende, dem wir heute mit anerkennendem Danke die Ernennung zum definitiven Lehrer zu überreichen das Vergnügen haben, der 12. an dieser Stelle. Doch es scheint uns, dass die Nachteile solch öftern Wechseln aufgwogen werden durch die Tüchtigkeit der Lehrkräfte, deren mehrere auch in ihren nachherigen Stellungen sich aufs glänzendste bewährt haben. Es geziemt sich daher, dass wir heute dankbar der Männer gedenken, die in frischer Jugendkraft jeweilen unsere Schule geleitet haben und fast ausnahmslos trefflich gefördert haben. Wenn wir eins bedauern müssen, so ist es dieses, dass wir in Rücksicht auf die vielfach fast gedrückte Lage des Grossteils unserer Bevölkerung diesen Leistungen gegenüber unserer Anerkennung nicht greifbareren Ausdruck zu geben im Stande waren. Mögen sie aber, die darauf Anspruch haben, es am heutigen Tage empfinden, dass noch heute einem Jeden unter Ihnen dankbare Herzen hier schlagen.

Das also soll der Sinn unseres heutigen Tages sein, eine dankbare Erinnerung an das erste Viertel Jahrhundert unserer Sekundarschule, an die, welche darin gelehrt, darin gelernt und welche sonst für sie gewirkt. Grund und Recht, eine solche Erinnerung festlich zu begehen, haben wir wohl genug. Einige jener ersten Schüler, mit denen die Schule einst eröffnet worden ist, haben zwar die erste Anregung zur Veranstaltung der heutigen Feier geben müssen. Sonst wäre es nicht zu einer solchen gekommen, aber wir leisteten gerne dieser Anregung Folge, weil die Schüler mit der Schule uns lieb und wert geworden sind. Wir brauchen es heute nicht erst noch zu beweisen, denn es steht als tatsächlicher Erfolg vor aller Augen. Dass gerade auch in unseren Gegenden eine Sekundarschule zu einer sehr erspriesslichen Bildungsstätte werden kann für höherer Bildung sonst eher abgeneigter Volksklassen. Mannigfache Vorurteile gegen eine Sekundarschule haben sich im Laufe der Jahre ganz von selber überwunden.Wo sie bis jetzt noch fortbestehen, da möge gerade der heutige Tag zu ihrer Beseitigung auch etwas beitragen. Wer gewohnt ist, im Schweisse seines Angesichtes sein Brot zu verdienen und von körperlicher Anstrengungen müde Glieder des Abends auf sein Lager hinzustrecken, der fühlt sich leicht zu dem Vorurteil verleitet, als wäre seine Arbeit allein wirkliche ehrliche Arbeit, während alles andere Schaffen mehr nur ein Zeitvertreib für körperlich schwächere Naturen zu betrachten sei. Schon mancher Vater hätte seinen Sohn, seine Tochter vielleicht ein oder zwei Jahre in die Sekundarschule geschickt, hätte ihn nicht die Befürchtung davon abgehalten, sein Kind möchte dadurch die Lust am «Arbeiten» verlieren. Allein, mehr und mehr bricht sich denn doch die Erkenntnis Bahn, dass alle Arbeit besser, vollkommener geleistet werden kann, wenn sie nicht bloss eine mechanische Fertigkeit ist, sondern mit Bewusstsein des theoretischen Verständnis geführt wird. Nur dann ist sie auch fortwährend der Vervollkommnung fähig. Nie konnte das bisher je wahrer sein als in unsern jetzigen Zeiten, wo es gerade für das Handwerk ein unabweisliches Bedürfnis ist, gehoben und gefördert zu werden, um durch die Fabrikarbeit nicht ganz verdrängt zu werden, wo gerade die Landwirtschaft nur noch mit Erfolg betrieben werden kann, wenn sie mehr und mehr zu Hilfsmitteln greift, deren richtige Handhabung einem ganz Ungebildeten nicht gelingen wird. Solche Erkenntnis, sage ich, ist gewiss auch unter uns durch die Sekundarschule gefördert worden. Wir brauchen nur auf diejenigen hinzuschauen, welche aus derselben hervor gegangen sind. Viele von ihnen sind in ihrem landwirtschaftlichen Berufe geblieben, und, wenn sie in der Schule etwas Rechtes leisteten, gewiss auch nachher tüchtig geworden in ihrer Arbeit. Wer unter ihnen dem Handwerk irgend welcher Art sich zugewendet hat, der wird nicht anstehen, zu bezeugen, wie wohl ihm alle einst erworbenen Kenntnisse und Vieles davon gerade für die Ausübung seines Berufes gekommen sind. Und wenn wir endlich Lehrer, Professoren, Staatsmänner unter ihnen erblicken, wenn wir sehen, zu welchen Stellungen und zu welch tüchtigen Leistungen es nicht wenige unter ihnen gebracht haben in rechter Benützung ihrer einstigen Sekundarschulbildung, so dürften wir schon daraus nicht mit Ungrund folgern, dass die Existenzberechtigung unserer Sekundarschule nunmehr unangefochten da¬stehen müsse, gerade unter unserm Volke, sind doch gerade die unter unsern Schülern, welche es am weitesten gebracht haben, aus kleinen und meist armen Verhältnissen hervorgegangen.

Das, verehrteste Anwesende ist dankbarer Erinnerung wert, dankbarer Erinnerung vor Allem gegen die, welche die Schule einst gegründet und zugleich gegen alle die, welche bis heute zu ihrem Gedeihen und Blühen mitgewirkt haben. Das ist das Recht, mit welchem wir heute eine Sekundarschulfeier begehen.

Der Zweck aber unserer Feier ist ein doppelter:
a) Er ist zunächst ein gemütliches Wiedersehen alter Freunde. Für einige Stunden soll der alte Sekundarschulort diejenigen wieder einmal vereinigen, die, sei‘s als Lehrer, sei‘s als Schüler, von ihren schönsten Lebensstunden in ihrer Jugendzeit hier einst zusammergebracht haben, die dann aber meist weit auseinander gekommen sind und sich seither selten oder nie wieder sahen. An den Stätten und Gefährten der Jugend haftet ja die Erinnerung stets am liebsten. Freilich, die Zeiten ändern sich und wir in ihnen. Wie ist doch so manches anders geworden zumal für die, welche den früheren Zeiten unserer Schule angehörten. Von den zwölf Lehrern sind zwei schon gestorben und auch von den 250 Schülern ist schon mancher nicht mehr. Auch von denen, die noch leben und wirken, schauen wir heute nur den kleineren Teil. Die Pflicht des Berufes hat Manchen zurückgehalten, der gerne gekommen wäre und die, welche heute hier erschienen sind, sie haben manches erfahren unterdessen an Freude wie an Leid. Da drücken sich dann nach langen Jahren alte Freunde gerne wieder einmal die Hand und 1000 Erinnerungen gehen durch die Seele und finden ihren Ausdruck. Und wir freuen uns, verehrteste Lehrer und Schüler und Schulbehördemitglieder, sie zu einem solchen Wiedersehen veranlasst zu haben.

Einen andern Zweck haben wir aber damit zugleich im Auge und darin werden auch Sie uns Ihre Zustimmung geben, nämlich eine Förderung unserer Schule. Wir leben der Hoffnung, dass durch die heutige Feier die Liebe zu unserer Schule und das Leben der Schule selber neue Anregung erhalte. Allen Eltern unseres Sekundarschulkreises möchten wir mit dem heutigen Tage zurufen: Schauet hin auf die tatsächlichen Erfolge, die unsere Schule zu Tage gefördert, und versäumt nicht, Euern Kindern, wenn diese dazu fähig sind, diese Ausbildung zu teil werden zu lassen. Manche unter unseren Schülern, die heute in hohem Ansehen und wohlsituiert dastehen, verdanken es dem glücklichen Umstand, dass ein guter Freund die Eltern einst überredet hat, der Sekundarschule sie als Schüler anzuvertrauen. Wir werden solche Zeugnisse noch heute zu vernehmen Gelegenheit haben. Auch derjenige, welcher als einstiger Schüler des ersten Jahrganges und hernach als Lehrer von Oktober 1865 bis April 1870 zu Ihnen noch reden wird, ist ein solcher Schüler unserer Sekundarschule, zu dessen jetzigem Lebensglück und Ansehen jener Eintritt in dieselbe die erste Bedingung oder Veranlassung gewesen ist.

Euch vor allem aber auch, jetzige Sekundarschüler, soll die heutige Feier ein Ansporn werden zu rechter Benutzung Euerer Schulzeit. Ihr erkennt heute vielleicht noch nicht den Vorzug, den Ihr damit habt, dass man eine höhere Schulbildung Euch noch zu teil werden lässt. Euch tritt es heute vor Augen, wozu Ihr dadurch bringen könnt. Freilich, nicht von selber kommt‘s dazu, nicht ohne Arbeit und Mühe. Ihr sollt es nicht leichter haben als die andern Eueres Alters, die von Morgen bis zum Abend beschäftigt sind. Nein, auch Ihr müsst alle Euere Kraft zusammen nehmen, um den Anforderungen, die an Euch gestellt werden, nachzukommen, um es zum rechten Ziel zu bringen, um in Euerm Berufe, den Ihr einst ergreifen werdet, etwas Tüchtiges zu leisten. Aber diese damaligen Schüler können Euch dazu ermuntern: dahin könntet auch Ihr gelangen mit eifrigem Streben!

Damit möchte ich Sie, verehrteste Herren Lehrer, Schüler und Freunde unserer Sekundarschule Alle begrüsst und unsere Sekundarschulfeier damit eröffnet haben.

Abgeschrieben am 20. April 1938
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