50-Jahr Jubiläum 1909

Die Thurgauer Zeitung berichtet am 29. September 1909 über das zweitägige Jubiläumsfest. Der damalige Schreibstil  des Journalisten trieft von Pathos und Überschwänglichkeit. Das war aber vollkommen normal. 116 Jahre später schmunzeln wir natürlich darüber.
Ein Sekundarschuljubiläum

Als sich vergangenen Sonntagvormittag die Schleusen des Himmels auf einmal gewaltig öffneten und ein wolkenbruchartiger Regen herniederplatzte, mag unsern Komiteemitgliedern und -allen, die sich auf das bevorstehende Festchen wahrhaft freuten, gebangt haben, dasselbe könnte Schiffbruch leiden. Glücklicherweise blieb es aber bei diesem Kehraus. Die Wolkengardinen verzogen sich, und allerliebstes Sonnengold flutete hernieder. In seinem Glanze präsentierte sich das dekorierte Dorf Affeltrangen als ganz respektabler Festort, war doch kaum ein Häuschen, an dem nicht Guirlanden grüssten oder Wimpel flatterten. Auch Inschriften, worunter manche eher für den Kirchweihtag, andere eigentlich für den Festakt des folgenden Tages passten, wollten besichtigt sein. Der Beschluss des Komitees, am Sonntagnachmittag ein Konzert anzuordnen, hauptsächlich in der Absicht, die Rechnung des Wirtes etwas tröstlicher zu gestalten, erwies sich bald als recht gelungen. Die Hütte füllte sich bis auf den letzten Platz. Namentlich junges frohes Volk war von allen Windrichtungen herbeigeströmt, und die Vereine, Musikgesellschaft, Männerchor und Gemischter Chor Märwil, entledigten sich gerne ihrer dankbaren Aufgabe, vor einem vollen Hause ihr Programm abzuwickeln.
Es war schon ziemlich spät, als es für lieb Mutter im luft’gen Hause zu kühl wurde. Man ging also heim. Hans und Grete schwangen aber nachher noch tüchtig das Tanzbein. Am folgenden Morgen habe da und dort ein Käterlein gespukt, und das allzu frühe Böllerschiessen sei als sehr unheilvoll empfunden worden. Trotzdem war man auf die angesagte Stunde frackbereit und fand sich guten Mutes bei der Festhütte ein. Da waren sie ja schon versammelt, die werten ehemaligen Sekundarschüler und -Lehrer, darunter Gestalten in greisem Haar. Es entwickelte sich so rechte Jubiläumsstimmung, als man das allgemeine Händedrücken, Sichbefragen und die Ausdrücke des Staunens bei solchen, die sich vielleicht seit der Schulzeit nicht mehr begegnet sind, beobachten konnte. Rasch war nun der Festzug formiert. Er bewegte sich nach dem Bollsteg, wo die hiesige Sekundarschule seinerzeit in den Windeln lag, und wieder zurück in die Festhütte, zum Beginn der Feier.

Herr Pfarrer Steger als Präsident der Sekundarschulvorsteherschaft entbot in seinem von Begeisterung durchdrungenen Eröffnungsworte allen Anwesenden herzlichen Willkomm, schilderte in kurzen Zügen den mühsamen Werdegang der Sekundarschule in ihrer ersten Entwicklungsperiode, da Frau Erzinger, eine Schülerin Pestalozzis, im damaligen Herrenhause Bollsteg das erste Schullokal zur Verfügung stellte, dankte dem Allerhöchsten für die Obhut, die der Jubilarin stets zu Teil ward, und mahnte zu erneutem Glauben, der nach Pestalozzi die Quelle aller Weisheit und allen Segens und die Bahn der Natur zur reinen Bildung der Menschheit ist. Hierauf folgte die Verlesung einer grösseren Anzahl Glückwunschtelegramme und Briefe von ehemaligen Schülern aus der Ferne. Sehr beifällig wurde ein mit Frische und Unerschrockenheit deklamierter Prolog eines gegenwärtigen Sekundarschülers aufgenommen, desgleichen ein Festspiel, das in vier getreuen Bildern dem Zuhörer die Entstehung unserer Sekundarschule vor Augen führte. Herr Pfarrer Steger hatte sich die Mühe genommen, dasselbe nach den Verhältnissen vor mehr als fünfzig Jahren zu arrangieren und mit der Schule einzuüben.

Während des Bankettes wurde die Jubiläumsschrift als ein geschätztes Heftchen von den offiziellen Teilnehmern in Empfang genommen. Herr Pfarrer Jucker von Braunau ermahnte in feinem Toaste aufs Vaterland zum Danke gegenüber Mutter Helvetia, die seit dem Tage, da das Rütli Gemeingut der schweizerischen Schülerarmee geworden, so viele Opfer für unsere Schuljugend gebracht habe.

Herr Staatskassier Rimli von Frauenfeld entrollte uns deutliche Erinnerungsbilder aus seiner Sekundarschulzeit, aus jenen Tagen, da er als kleiner Junge von Tägerschen aus die neugegründete Schule im Bollsteg besuchte und bald darauf der Einweihung des neuen Schulhauses beiwohnte. (Ergänung des Chronisten: Johann RImli, Tägerschen, tritt im Schuljahr 1886/87 in die Sekundarschule Affeltrangen ein und ist im Jubiläumsjahr 1909 36 Jahre alt.) Er sieht vieles aus jenen Tagen noch so klar vor sich, wie wenn es gestern geschehen wäre, Ereignisse in der Schule, auf dem Schulwege, Episoden aus der Bauperiode u. a. Er würde es als eine Pflichtvergessenheit ansehen, wenn er nicht mit Verehrung seiner Lehrer gedenken wollte, eines Salomon Stadler, heute Rektor in Zürich, eines Jakob Schmidhauser selig. Ein eigentümliches Gefühl beschleicht ihn, weil er aus seiner Schulperiode nur noch ganz wenige um sich sieht. Wo sind die andern hingekommen? Wo weilt sein Freund, der joviale Gesellschafter Georg Britt. Vom Elegischen sich abwendend, wies Herr Rimli hin auf die Veränderungen in unserem Dorfe, wo die Industrie eingezogen, wo der Schüler nicht mehr wie zu seiner Zeit die Aufgaben bei russigem Lichte zu lösen braucht, sondern unter der Lichtquelle, welche die Wissenschaft erschloss. Im weitern machte er uns, wenn auch etwas schalkhaft, Hoffnung auf den Dividendensegen, der uns zufallen werde, wenn es zwischen Affeltrangen und Tobel einmal heisse: Einsteigen nach Wil, Gotthard, Mailand etc. Seine Wünsche galten der Sekundarschule Affeltrangen.

Herr Direktor Dr. Schmid von St. Gallen spendet Worte warmen Dankes vorab dem Festpräsidenten für die Mühe, welche die Abfassung der Jubiläumsschrift erforderte; im fernern der Sekundarschulvorsteherschaft und Bevölkerung für das glückliche Arrangement, das eine Festhütte erstehen liess, in der man so wohlig und mollig untergebracht sei. Hier habe sich der Thurgauer wieder einmal als ein Praktikus par excellence erwiesen. Herr Direktor Dr. Schmid wünschte der Sekundarschule Affeltrangen Lehrer, wie er sie hatte, Männer von Idealen, erfüllt und beseelt mit Begeisterung für ihren hehren Beruf. Mit Bestürzung habe er dagegen erfahren von dem geringen Zuwachs unseres Fonds; er richtete einen Appell an alle ehemaligen Schüler, sich zu einem Verbande zusammenzuschliessen mit dem Zwecke, die Sekundarschule intellektuell und namentlich materiell zu unterstützen. Damit die Sache nicht im Sande verlaufe, mögen gleich heute die Unterschriftenbogen zirkulieren. Die kraftvolle Rede hat eingeschlagen. Die erstmalige Subskription brachte bereits ein hübsches Sümmchen ein.


Herr Brunner von Bänikon verstand es, in fein satirischer Art die Auswüchse in der Abstinenzbewegung zu geisseln. Auch er erblickt in den Zuständen, wie wir sie in allen Irrenhäusern finden und in andern Tatsachen furchtbare Ankläger gegen den Alkohol und ist weit davon entfernt, den Bestrebungen der Abstinenten ein Bein zu stellen. Unter Anwendung launiger Vergleiche redete er aber der Mässigkeit das Wort, und er erwartet von der Schule, dass sie namentlich auch Charaktere heranbilde und die Pflege der Menschenwürde auf ihr Panier schreibe. Der Redestrom wäre wohl noch weiter geflossen; aber für Viele war die Stunde des Abschiedes herangetickt. So mischten sich also in die kaum erweckten Töne frohen Wiedersehens unversehens rasch Wehmutsklänge der Trennung. Erwähnung verdient noch ein Stabreigen der Knaben. Männerchor und Musikgesellschaft zeigten sich auch an diesem Tage äusserst rührig und ausdauernd. Ihre Darbietungen fanden reichen Beifall. So ist denn mit dem 27. September 1909 ein Tag ins Meer der Vergangenheit hinabgesunken, der in der Schulgeschichte Affeltrangens einen Ehrenplatz verdient.